Der Zisterzienserorden

In der vielgestaltigen Bewegung der monastischen Reform des 11. Jahrhunderts hat auch die Gründung von Cîteaux 1098 ihren Platz. Der Name Cîteaux, vielleicht abgeleitet von cistel (= fr. Schilfrohr), deutet auf die Lage des „Neuklosters“, wie es zunächst genannt wurde, in einem öden unwirtlichen Sumpfgebiet.

Die Sehnsucht nach Gott ließ die Cistercienser aus gewohnten Bahnen ausbrechen und andere Wege gehen, auf denen sie sich an den Ursprüngen des Mönchtums orientierten. Wüstenideal, Armut und treue Befolgung der Benediktsregel hatten sich die Gründermönche, Abt Robert von Molesme und seine 21 Mitbrüder, auf die Fahne geschrieben. Abt Robert musste auf Weisung des Papstes nach Molesme zurückgehen. Nach seiner Rückkehr wurde Alberich sein Nachfolger, dem Stephan Harding als dritter Abt von Cîteaux folgte.

Unter Abt Stephan trat 1113 Bernhard von Clairvaux mit 30 Gefährten ins Kloster ein. Zeitgleich begann eine starke Ausbreitung des neuen Ordens mit zahlreichen Neugründungen. Bernhard wurde 1115 zur Gründung des neuen Klosters Clairvaux ausgesandt. Er fasste die cisterciensische Lebensordnung in einem einprägsamen Text zusammen:

„Unsere Lebensform ist Erniedrigung, ist Demut,
ist freiwillige Armut, Gehorsam,
Friede und Freude im Heiligen Geist.
Unsere Lebensform steht unter einem Lehrer,
unter einem Abt, unter einer Regel, unter einer Disziplin.
Unsere Lebensform bedeutet Bemühung in der Stille,
Übung im Fasten, in Nachtwachen, im Gebet,
in Handarbeit und vor allem darin,
den besseren Weg zu gehen, der die Liebe ist,
in all diesen Bestrebungen von Tag zu Tag Fortschritte zu machen
und darin zu verharren bis zum letzten Tag.“

Die Lebensweise im Mutterkloster Cîteaux wurde zur Norm für alle anderen Cistercienserklöster, denn alle wollten „verbunden durch das Band der Liebe“ nach der einen Regel und den gleichen Bräuchen leben. Durch das Band der Konstitutionen, der „Carta Caritatis“, wurde der neue Mönchsorden zu einer mächtigen Institution und breitete sich über ganz Europa aus. Als Bernhard von Clairvaux 1153 starb, gab es bereits 344 Cistercienserklöster.

Die ersten Cistercienser

Locus horroris et vastae solitudinis, einen ganz schrecklichen und furchtbar einsamen Ort nannten die ersten Cistercienser ihr Kloster Cîteaux. Das hört sich auf den ersten Blick recht abstoßend an, ist allerdings ein biblisches Bild (Dtn 32,10). Da ist es Gott, der dem Volk Israel, das sich in der Wüste verirrt hat, nachgeht und ihm seine Nähe schenkt: „Er hüllte ihn ein, gab auf ihn acht und hütete ihn wie seinen Augenstern.“ (Dtn 32,11)

Das Mönchtum entstand im 4. und 5. Jahrhundert gerade in der Wüste, in Palästina und Ägypten. Die Mönche haben die Wüste immer als Ort besonderer Gottesnähe erfahren, als Ort der Suche nach dem Gott, der unser Leben umfängt.

Die Cistercienser haben zu Beginn des 12. Jahrhunderts dieses Ideal neu aktualisiert und es in den Mittelpunkt ihres monastischen Lebens gestellt: die Einsamkeit zu erstreben, um Gott zu suchen und empfänglich zu werden für seine Liebe.

Einfachheit und Armut

Während das traditionelle Mönchtum im Hochmittelalter oftmals dem Feudalsystem verpflichtet war, verzichteten die Cistercienser anfangs auf feudale Einkünfte, um damit jegliche Abhängigkeit von Adeligen und Machthabern zu unterbinden und ganz frei zu sein von der Einflussnahme von außen. Sie wollten deshalb nicht von Spenden und Stiftungen leben, sondern von der eigenen Hände Arbeit. So fand die Handarbeit bei den Cisterciensern eine hohe Wertschätzung und wurde zum festen Bestandteil des klösterlichen Alltags.

Neben harter Feldarbeit, die weitgehend von Laienbrüdern getan wurde, drückte sich das Streben nach Einfachheit auch sonst im Leben der Mönche aus. Die Ernährung war karg. Es wurde völlig auf Fleisch verzichtet. Auch die Kleidung der Mönche sollte von großer Schlichtheit geprägt sein. Sie verwendeten dafür ungefärbte Wolle. Daher wurden sie die „grauen Mönche“ genannt. Ebenso verzichteten die frühen Cistercienser in der Ausstattung der Klöster und Kirchen auf alles Überflüssige, auf Ausmalungen und Ausschmückungen, um sich ganz auf das Zentrum, nämlich auf Gott konzentrieren zu können.

Treue Befolgung der Benediktsregel

Die Benediktsregel wurde zur Zeit der Gründung von Cîteaux in allen monastischen Gemeinschaften beobachtet. Die Cistercienser wollten sie in ihrer ursprünglichen Strenge leben und ganz ernst nehmen. Mit Blick auf die lange monastische Tradition hat Benedikt eine Lebensordnung verfasst, die in ihrer menschlichen Klugheit und Weisheit bis heute noch Gültigkeit hat und uns auf dem Weg der Gottsuche Wegweisung gibt. Die Gottsuche steht im monastischen Leben ganz im Mittelpunkt, keinen anderen „Zweck“ haben unsere Klöster. Der Vorrang Gottes vor allem anderen drückt sich aus im Vorrang des Gebets und der Feier der Liturgie vor allen sonstigen Aufgaben. „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden“ (RB 43, 3). Darüber hinaus verlangt Benedikt, dass jeder einzelne das liturgische Gebet mit innerem Gebetsgeist erfüllt, das Wort Gottes beständig betrachtet und mit ihm immer mehr vertraut wird in der lectio divina, der geistlichen Lesung. Diese Haltung des Hörens, des Gehorsams, konkretisiert sich in der Arbeit, die dem Lebensunterhalt dient, aber für Benedikt auch ein wichtiges Pendant zum geistlichen Tun ist und dazu beiträgt, dass das monastische Leben ganzheitlich sein kann. So geht es auch bei der Arbeit darum, das Ganze unseres Lebens Gott zu schenken. Auch der klösterliche Alltag, der wie in jedem Leben oftmals grau ist, will Ort der Suche nach Gott sein: Gemeinschaftsleben, Arbeit, Alleinsein – in allem will Gott gesucht werden, will ER die Mitte unseres Lebens sein. Dabei spielt die Hinordnung auf das Wohl der Mitschwestern eine wichtige Rolle, denn nur „gemeinsam“, so meint Benedikt am Schluss seiner Regel (RB 72,12), werden wir im ewigen Leben ankommen. In gegenseitiger Rücksichtnahme schafft die Gemeinschaft im Kloster Raum für Stille und Schweigen, damit jede Schwester aufmerksam wird für Gottes Wort an sie.

Authentizität

Neben der Handarbeit war den frühen Cisterciensern Authentizität wichtig; was sie gelobt hatten, sollte der Realität entsprechen. Dazu versuchten sie, die Liturgie auf die Form zurückzuführen, wie sie zur Zeit Benedikts gefeiert wurde. Sie reduzierten sie auf das Maß, wie es die Regel vorgibt, um so Zeit zur Arbeit zu finden. Außerdem unterzogen sie die Texte der Heiligen Schrift einer Revision, um eine möglichst originale Übersetzung zur Verfügung zu haben. Dabei zogen sie Rabbiner zu Rate. In Mailand suchten sie nach den ursprünglichen Hymnen des Ambrosius und überarbeiteten die Gregorianischen Gesänge nach dem Metzer Antiphonale, das sie für das älteste hielten. Bei dieser Suche begingen sie zwar manchen Irrtum, doch bemühten sie sich, getreu die Ideale der alten Mönche zu leben.

Eine Schule der Liebe

In der Geschichte der Spiritualität hatte sich ein Wandel vollzogen: Gott ist nicht mehr „nur“ der Herr und der Mensch der Untertan; dieses strenge Gottesbild wird abgelöst durch ein Bild familiärer Intimität. Gott und die Seele sind Partner, die einander lieben. Gott kommt dem Menschen mit seiner Liebe zuvor, indem er ihn nach seinem Bild erschafft und ihn durch Christus erlöst, nachdem der Mensch sich durch seine Schuld von Gott getrennt hat. Die Cistercienser geben auf diese Liebe Gottes Antwort, indem sie ihrerseits nichts wollen, als Gott lieben und in ihm alle Geschöpfe. Sie leben eine große Sehnsucht nach Gott, dadurch wird die große Strenge ihrer Lebensform relativiert zu einem Weg der Freiheit für Gott.

Die Spiritualität der ersten Cistercienser fand ihre Herzmitte in der Liebe. Bernhard von Clairvaux (+ 1153) brachte in seinem „Kommentar zum Hohenlied“ diese Liebe zum Ausdruck, auch die anderen „Evangelisten von Cîteaux“ (Wilhelm von St. Thierry [+ ca. 1148], Guerric von Igny [+ 1157] und Aelred von Rievaulx [+ 1167]) stellten die Liebe in den Mittelpunkt ihrer Lehre. Aelreds Werk „Über die Geistliche Freundschaft“ betont die Bedeutung tiefer Bruderliebe für das Leben im Kloster.

Mystische Erfahrung ist ein Schlüsselwort cisterciensischer Spiritualität, jedoch stets getragen von der Erfahrung des aszetischen Lebens, die ihr vorausgeht und sie vorbereitet. Kontemplatives Leben ist zuerst Vereinigung mit Gott in Christus, die dann sichtbar wird im Geist der Nächstenliebe.

Letztlich steht Jesus Christus, der menschgewordene Gottessohn, absolut im Mittelpunkt. Die Darstellung des „Amplexus“, der Umarmung des Gekreuzigten mit dem hl. Bernhard, bringt die innige Erfahrung der Nähe zu Christus intensiv zum Ausdruck. In Christus muss das ganze Leben gelebt und nach seinem Beispiel gestaltet werden.

„Alle, die du in deine Arme schließt, Herr, ziehst du doch fest an dein Herz. Dein Herz ist das süße Manna, Gott, den du, Jesus, in deiner Weisheit in dir trägst wie in einem goldenen Krug. Selig sind alle, die deine Umarmung zu diesem Manna zieht, selig alle, die du in diesem verborgenen Geheimnis mitten in deinem Herzen geborgen sein lässt.“ Wilhelm von St. Thierry